Bevölkerungsexplosion
Bevölkerungsexplosion
Nr. 56/84, pp. 2729 Haben sich die Hoffnungen auf ein entscheidendes Losungswort des Präsidenten der Republik oder anderer maßgebender Persönlichkeiten erfüllt? Ist ein solches überhaupt möglich? Der Leserbrief des ägyptischen Experten, der erst nach Ende des Kongresses in "al-Ahram" erschien (s. folgenden Beitrag), beschreibt klar die Problemfelder einer nationalen Bevölkerungspolitik: es fehlt der einheitliche Wille, der nationale Konsens, ein mit echten Kompetenzen ausgestattetes nationales Büro!
Selbst die Männer der Religion sind sich nicht einig. Es besteht eine Polarität der in der Regel regierungskonformen Azhar-Gelehrten, die Familienplanung mit der Sunna für vereinbar halten, zu den wahren religiösen Führern, den populären auch in der Provinz wirkenden Scheichs, die das Koranwort "Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung WIR bescheren ihnen und euch (den Lebensunterhalt)" (Sure 17,31 und 6,151), nicht auf die vor dem Islam bestehende Sitte, neugeborene Mädchen lebendig einzugraben, beziehen, sondern meinen, daß von Kindern die Rede ist, die durch Mittel der Empfängnisverhütung verhindert werden. Dies bedeutet ihrer Ansicht nach praktisch Kindestötung aus lauter Furcht, für die Kleinen nicht aufkommen zu können (wo doch ER für sie sorgen wird). Sie finden das Verhalten städtischer Schichten, nur zwei oder drei Kinder pro Familie zu haben gelinde gesagt nicht beispielhaft. Ist es bei der augenblicklichen Lage, zumal vor den Wahlen Ende Mai, nicht zuviel erwartet, daß durch ein Machtwort des Präsidenten die Familienplanung endlich in Gang gebracht wird? In seiner Rede zum Abschluß des Kongresses am 29.3. sprach der Präsident immerhin von Gratifikationen für diejenigen Familien, die sich auf höchstens zwei Kinder beschränken (Idee: auszahlbar mindestens 10 Jahre nach der letzten Geburt, eventuell als Zuschlag zur Altersversorgung). Aber ihre Höhe und den Durchführungsbeginn dieser Maßnahme erwähnte er nicht. Themen des Kongresses waren auch nicht der Einsatz realistischer Maßnahmen, um das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Man führte sich die wahrlich imponierenden Zahlen vor Augen (wobei sich manch chauvinistischer Vertreter gefreut haben mag). Die Leistungen des Wohnungsbaus und künftige Pläne wurden herausgestellt, an das notwendige Schritthalten der Infrastruktur (vor allem des Verkehrswesens) wurde erinnert und wieder einmal die Möglichkeiten, den Siedlungsraum außerhalb von Niltal und Delta zu erweitern, vorgetragen, wobei man bei diesem Thema wohl besonders an den zweiten Versteil glauben muß "WIR bescheren ihnen und euch den Lebensunterhalt" denn unzählige Probleme der Wüstenbesiedlung sind noch ungelöst. Die Bevölkerungslawine war bisher noch immer schneller als die schnellste Strukturverbesserung. Einsichtige, sich verantwortlich fühlende Persönlichkeiten denken über eine speziell ägyptische Bevölkerungspolitik (weder nach chinesischem noch nach indischem Modell) nach, die aber noch keiner formulieren konnte. Da ist z.B. die Lage der Frau zu verbessern, vor allem auf dem Lande. Da sie hauptsächlich als Gebärerin angesehen wird, entfällt auch ihr tatkräftiger Beitrag zur Entwicklung der Nation. Sie ist zu einer Schwangerschaft nach der anderen gezwungen, weil sie nur durch Nachweis ihrer Fruchtbarkeit einigermaßen vor dem Verstoßenwerden sicher ist (Ägypten hat eine der höchsten Scheidungsraten der Welt). Atemberaubende Vorstellungen kommen manchem, wenn er sich folgende Zahlen vor Augen führt:
Alle 10 Monate wächst die Bevölkerung um 1 Million, und der Zeitraum der Vermehrung um diese Größe wird immer kürzer. Die Bevölkerungswachstumsrate betrug um die Jahrhundertwende 1,5%; heute ist sie dank der medizinischen Errungenschaften fast doppelt so hoch, nämlich 2,7%. Dabei liegt die Kindersterblichkeit immer noch bei 8% (in Europa 1%). Beim Kongreß wurde weiter berichtet, daß, um die Geburtenrate niedriger zu halten und auf zwei oder drei Kinder pro Familie zu beschränken, notwendigerweise 75% aller ägyptischen Eltern Maßnahmen der Geburtenkontrolle ergreifen müßten.
45% der Ägypter wohnen in Städten. Von den 46 Mio. 1983 lebten ca. 1 Mio. außerhalb von Delta und Niltal, entweder in den Oasen oder als Beduinen in der Wüste, d.h. die Masse der Bevölkerung verteilt sich auf knappe 4% des Staatsgebietes (rd. 25.000 qkm, ein Zehntel der Fläche der Bundesrepublik). Kairos Einwohner haben sich, verstärkt durch die Landflucht, von 6 Mio. 1966 auf 11 Mio. 1983 beinahe verdoppelt. Für das Jahr 2000 liegen die Berechnungen bei 18 Mio. Lohnt es sich bei dieser Bevölkerungsperspektive nicht, am konservativen Weltbild der Scheichs mehr als nur zu rütteln? Ist Kinderreichtum wirklich Reichtum? Sind Mitglieder einer kleinen Familie nicht meist allesamt gesünder, genießen größere Aufmerksamkeit, eine bessere Ausbildung, sind somit wahrscheinlich glücklicher als die einer bitterarmen großen? Für uns eine Binsenweisheit, aber: zwei Bawabs meiner Nachbarschaft liegen in "edlem" Wettstreit, um ihre "Stärke" und ihren männlichen Egoismus zu beweisen. Sie gönnen ihren Frauen kaum eine Ruhepause zwischen den Schwangerschaften. Das Schicksal ihrer Frauen und Kinder liegt außerhalb ihrer Vorstellungswelt, ihr eigenes und das ihres Landes wohl auch.
Zum Seitenbeginn
Mit dem Bevölkerungsproblem konfrontiert...
Nr. 56/84, pp. 3031 Die Bemühungen der Massenmedien einschließlich Radio und Fernsehen sind zu würdigen, aber einige von ihnen haben noch nicht ganz die einzige Auffassung übernommen, die das Volk überzeugt, nämlich die des persönlichen Nutzens, den ein jeder durch Geburtenkontrolle erzielt. Man kann sich nicht vorstellen, daß jemand handelt, ohne einen Vorteil für sich dabei zu sehen. Dann, wenn Mann und Frau klar geworden ist, daß Familienplanung einen wirklichen Nutzen für sie bringt, brauchen die Massenmedien keine Propaganda mehr dafür zu machen. Insoweit und aus der Geschichte der Familienplanung auf der ganzen Welt wissen wir, daß das Motiv der Verbesserung des Lebensstandards die eigentliche Triebfeder für die Übernahme der Politik der kleinen Familie ist und daß dieser Wunsch von der Frau ausgegangen ist, die ein besseres Leben anstrebt. Obwohl wir uns dem Zeitpunkt nähern, an dem wir nach Berechnungen der Wissenschaftler 70 Millionen erreichen werden, und obwohl wir in vielen Bildern die Anzeichen des Anschwellens der Bevölkerung erblicken, hören und lesen wir Stimmen, die zu einer weiteren Vermehrung auffordern und die das Problem mit der Begründung vereinfachen, daß wir noch viele ungenutzte Schätze besäßen als ob, um diese Schätze zu heben, kein Kapital, keine arbeitstechnische Ausbildung, keine fortschrittliche Technologie nötig wären. Die Meinung dieser Leute ist nicht nur ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich, vom Glauben her und manchmal politisch begründet. Zwar hat der Staat eine nationale Einwohnerpolitik entwickelt und eine spezielle Einrichtung dafür geschaffen, aber er hat diese Einrichtung nicht mit genügend Vollmachten ausgestattet, die es ihr ermöglichen würden, die Situation zu beherrschen und die Aktivitäten anderer Institutionen, für die schon Aufgaben im nationalen Plan vorgeschrieben waren, zu überwachen und zu leiten. Die Bemühungen dieser Institutionen sind auch nicht aufeinander abgestimmt worden, um bestimmte Planziele zu erreichen. Somit blieben alle Maßnahmen zersplittert. Ihrer Durchführung mangelt es an gedanklicher Einheit, und Ergebnisse sind nicht spürbar. Es wurde eine Hohe Kommission für Familienplanung aus den besten Politikern, Denkern und Experten gebildet (schon ab 1965, Anm. d. Red.), um das Problem zu untersuchen, das der Ursprung vieler gesellschaftlicher Existenzfragen ist. Aber die langen Zeiträume zwischen den Sitzungen erschweren es ihr, die angestrebten Ziele zu verwirklichen. Es ist bekannt, daß unsere Gesellschaft die Religion für das Heiligste hält und daß die Schichten, die ein besonderes Bevölkerungswachstum aufweisen, sehr empfänglich sind für das, was die Männer der Religion verbieten oder erlauben; ihre Fetwas (religiöse Gutachten) werden ohne Diskussion angewendet. Bis jetzt bestehen bei einigen dieser Männer Zweifel daran, daß die menschliche Beeinflussung der Geburtenzahl erlaubt ist. Die Gesellschaft ersehnt sich ein ehrliches, klares, entscheidendes Wort (zu dieser Sache), damit sich die Ulema (religiösen Rechtsgelehrten) in ihrer Rechtsauslegung (Igtihad) einig werden. Der Igtihad ist, wie wir wissen, eine Quelle der Scharia. Kann dieses Wort vom bevorstehenden Nationalen Kongreß herausgebracht werden, damit sich die Seelen und Herzen beruhigen?
Zum Seitenbeginn
|
Wichtig jedoch ist der Erfolg der Familienplanung. Von 1981 bis 1986 soll der Prozentsatz der Eheleute, die sie praktizieren, von 19,5 auf 28,2% gestiegen sein, um nahezu 45% also. Mithin hätten die Geburten gebremst werden müssen, auch wenn die Anzahl der Kinder bei den übrigen Ehepaaren gleich bleibt. Wenn trotzdem ein starker Anstieg der Geburtenziffer aufgetreten ist, so kann dies verschiedene weitere Gründe haben, deren Einfluß erst nach längerem Verlauf von Kampagnen abgeschätzt werden kann: zum einen beginnt die Geburtenkontrolle meist erst nach mehreren Kindern, also wohl 510 Jahre nach der Heirat. Weiter erhöht sich laut Statistik das Alter für die Eheschließung, was einen Verzögerungseffekt bei der Auswirkung der Geburtenkontrolle haben kann. Schließlich erreicht deren unsachgemäße Anwendung, die nach den Berichten von Ärzten wohl keine seltene Ausnahme ist, nicht den gewünschten Effekt. Die Erhöhung der Zahl potentieller Mütter wird vielleicht durch Geburtenkontrolle erst später neutralisiert werden. Es gibt also neben bedenklichen auch hoffnungsträchtige Aspekte. Die Zeitbombe für die Bevölkerungsexplosion in Ägypten ist aber noch längst nicht entschärft. Da tröstet es wenig, daß die Statistiker ein Limit errechnet haben: Die stationäre Bevölkerungszahl Ägyptens wird sich nach den heutigen Trends und den üblichen Gesetzmäßigkeiten bei 132 Mio einstellen vielleicht in 100 Jahren.
Zum Seitenbeginn
|
Geschichte der Familienplanung Problembewußtsein schon seit 1952?
Nr. 3/88, pp. 69
Schon nach der Revolution 1952 unter Präsident Gamal Abdel Nasser zeigte sich, daß der Bevölkerungszuwachs in Ägypten zum Problem werden würde, und es wurde die "Nationale Kommission für Bevölkerungsfragen" gebildet. Die Regierung glaubte jedoch zunächst, die sozio-ökonomischen Entwicklungspläne erfüllen und somit auch das Problem der Überbevölkerung bewältigen zu können. Doch 1962 stellte man fest, daß die ökonomische Entwicklung des Landes dem enormen Bevölkerungszuwachs nicht nachkam, Familienplanung wurde zur nationalen Frage. Man errichtete in Stadt und Land Anlaufstellen, in denen Verhütungsmittel ausgegeben wurden. 1963 entstand die "Egyptian Family Planing Association" (EFPA), eine unabhängige private Organisation mit freiwilligen Mitarbeitern, die sich der Verbreitung der Familienplanungsmaßnahmen widmete. 1965 wurde von der Regierung das "Supreme Council for Population and Family Planing" gegründet. Es erhob zum Programm, die Bevölkerung besser über die Möglichkeiten der Schwangerschaftsverhütung zu informieren. Es wurde von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Kleinfamilie generell erwünscht sei. Bis 1969 wurden 3.000 Beratungszentren gegründet, in denen man die Antibabypille kostenlos verteilte. Zu diesem Zeitpunkt wandten ca. 10% der Frauen Kontrazeptiva an. 1973 stellte das "Supreme Council for Population and Family Planing" ein erweitertes Programm auf. Es war erkannt worden, daß die Propagierung und kostenlose Verteilung von Verhütungsmitteln keine weitreichende Wirkung hatte, und ein sozio-ökonomischer Wandel als Grundlage für kleinere Familien notwendig sei. Folgende neue Programmpunkte wurden erhoben:
In den nächsten Jahren wurden diverse Feldstudien durchgeführt zur Erforschung der religiösen, sozialen und ökonomischen Faktoren, die insbesondere auf dem Land den Widerstand gegen eine wirksame Familienplanung erklären. Besonders die Amerikanische Universität in Kairo ist mit ihrem "Population Research Program of the Social Center" an diesen Forschungen beteiligt. 1980 betrieben ca. 24% der verheirateten Frauen Empfängnisverhütung. 1982 erhob Präsident Mubarak die Begrenzung des Bevölkerungswachstums zu einer der höchsten Prioritäten seiner Regierung. Er ist sich bewußt, daß bei Anhalten des Bevölkerungszuwachses Ägypten im Jahr 2000 eine Bevölkerungszahl von 70 Millionen haben würde und übernahm selbst den Vorsitz im "National Population Council". (Seit Anfang des Jahres ist Premierminister Atef Sidki Vorsitzender des NPC.) 1984 wurde eine Studie über Fruchtbarkeit und Familienplanung, die "Egypt Contraceptive Prevalence Survey" durchgeführt, die den Informationsgrad der Betroffenen bezüglich Geburtenregelung, der Verfügbarkeit von entsprechenden Mitteln und Einrichtungen und deren Inanspruchnahme aufzeichnete. Die Studie zeigte zwar einen leichten Anstieg im Gebrauch von Kontrazeptiva, andererseits aber auch weiteren Bedarf an Familienplanungsberatungszentren. Die Studie nennt unter anderem als Ursachen für die hohe Fruchtbarkeitsrate:
Das Ergebnis wurde dem damaligen Premierminister sowie dem Gesundheits- und dem Erziehungsminister in einem Seminar im "National Population Council" im Dezember 1985 vorgestellt und diskutiert. Das Seminar kam zu folgenden Empfehlungen für die zukünftige Bevölkerungspolitik:
1986 wurde dann im Mai vom "National Population Council" im Rahmen des 5-Jahres-Bevölkerungsplans 1987 1992 das Nationale Familienplanungsprogramm herausgegeben. Der 5-Jahresplan berücksichtigt die Empfehlungen o.a. Studie mit folgenden Hauptzielen und -Aktivitäten:
Die Durchführung des Familienplanungsprogramms im Rahmen des 5-Jahresplans untersteht dem Gesundheitsministerium (Ministry of Health, MOH) in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium (Ministry of Social Affairs, MOSA), dem Informationsministerium (Ministry of Information) und dem "National Population Council". Das Gesundheitsministerium ist verantwortlich für die Verwirklichung des Familienplanungsprogramms im Staatssektor, also
Gesamtbudget für den Zeitraum des 5-Jahresplans: LE 50.869.150. Das Sozialministerium ist verantwortlich für die Verwirklichung des Familienplanungsprogramms auf dem Privatsektor und arbeitet vor allem zusammen mit der Egyptian Family Planing Association (EFPA), mit Family of the Future (FOF) und anderen Gesellschaften, die verantwortlich sind für die Verfügbarkeit und Verteilung der Kontrazeptiva. Gesamtbudget für den Zeitraum des 5-Jahresplans: LE 37.320.000.
FOF führt regelmäßig Analysen der Akzeptanz von Familienplanungsmaßnahmen durch, propagiert die verschiedenen Verhütungsmittel, entwickelt Gesundheitsprogramme und sorgt für die Verbreitung der Informationen zur Familienplanung durch die Medien, insbesondere im Fernsehen.
Zum Seitenbeginn
|
Sozio-kulturelle Einflüsse auf die Familienplanung
Nr. 3/88, pp. 1012 Die Zahlen sind alarmierend: Alle acht Monate eine Million ägyptischer Staatsbürger mehr, das bedeutet, daß Ägypten im Jahre 2000 70 Millionen Einwohner haben wird und dies trotz zwanzig Jahre aktiver staatlicher Familienplanung. Wo sind da die Widerstände zu suchen? Ist etwas verkehrt gemacht worden? Zunächst muß man berücksichtigen, daß seit 1936 die Zahl der Sterbefälle bei Kindern unter fünf Jahren um 128 auf 45 pro 1.000 Einwohner, also um 65% gesunken ist. Dennoch ist im internationalen Vergleich die Säuglingssterblichkeit in Ägypten noch immer relativ hoch. 1970 lag sie noch bei 119 auf 1.000 Lebendgeborene, während sich die entsprechenden Werte in Europa zwischen 10 und 50 Sterbefällen auf 1.000 Lebendgeborene bewegen. Die Statistik zeigt, daß Analphabeten die höchste Anzahl an Kindern haben:
Ägypten ist in 25 Verwaltungsbezirke aufgeteilt. Die städtischen Bezirke, insbesondere Kairo und Alexandrien, sind bezüglich Bildung und Infrastruktur am weitesten fortgeschritten, im Gegensatz zu den Gebieten in Oberägypten, welche den niedrigsten sozio-ökonomischen Stand aufweisen. Dementsprechend sind auch die Geburtenraten in den einzelnen Regionen unterschiedlich. Die gesamte Fruchtbarkeitsrate von 197580 beträgt 4,27 Kinder für Frauen, die in Städten leben und 6,14 für Landgebiete. Ein Unterschied von nahezu zwei Kindern. Die niedrigste Rate weist Alexandrien auf (3,14), dann Kairo (4,09) gefolgt von Städten in Unterägypten (4,29) und in Oberägypten (5,87). Dagegen sind die Unterschiede in den Landgebieten nur sehr gering (Unterägypten 6,0; Oberägypten 6,3 Lebendgeburten pro Frau). Worin liegen nun die Hauptwiderstände, die die Familienplanung überwinden muß? Abgesehen von religiösen Motiven ist eine der Ursachen in den kulturellen Werten zu suchen. Traditionen erhalten sich besonders auf dem Lande: Weit verbreitet sind immer noch Frühehen, sowie Vettern- und Cousinenheirat (auf dem Lande ca. 50%), welche gesundheitspolitisch nicht mehr gerne gesehen werden. Da von der Frau erwartet wird, daß sie ihre Virginität bis zur Eheschließung erhält, versucht man diese sicherzustellen, indem man sie möglichst früh verheiratet, dadurch vergrößert sich jedoch die Zeitspanne der Fertilität. Nach der Heirat hat eine Frau ihre Fruchtbarkeit zu beweisen. 62% der Frauen, die heute fünf Jahre verheiratet sind, haben ihr erstes Kind bis zum Ende des zweiten Ehejahres bekommen; 89% haben mindestens ein Kind am Ende des 5. Ehejahres. In einer Gesellschaftsstruktur, in der Frauen weitgehend rechtlich ungesichert sind, bedeuten Kinder eine größere soziale und ökonomische Sicherheit, die den Mann stärker an seine Frau binden und ihn von einer Zweitehe abhalten soll. Außerdem beweisen sie die Männlichkeit des Mannes und die Fruchtbarkeit der Frau. Ferner bevorzugen Eltern aus wirtschaftlichen Interessen große Familien mit vorzugsweise vielen Söhnen. 46% der Frauen und 39% der Männer erwarten, daß sie im Alter mit ihren Kindern zusammenleben werden. 54% der Männer und Frauen erwarten eine finanzielle Unterstützung von ihren Kindern, da auch die "Sadat-Rente" nicht zum Leben ausreichen wird. Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, daß eine große Anzahl Kinder dort erwünscht und auch vorhanden ist:
Kinder sind billige Arbeitskräfte, sichern die Altersversorgung, erhöhen das Ansehen der Eltern. Das Leben der Bauern in Ägypten ist sehr unsicher und bietet wenig Kontrolle über die Natur, welche eine gute oder eine schlechte Ernte bringen kann. Um sich gegen das Unvorhergesehene und Unbekannte zu schützen, haben die Fellachen eine besondere Lebensart entwickelt mit hohem Toleranzgrad, Zufriedenheit gegenüber Vorhandenem und einer Bereitschaft, das Schlimmste zu erwarten und zu akzeptieren, wenn es eintrifft. Dieser Fatalismus erfaßt alle Bereiche des bäuerlichen Lebens, einschließlich der Unfähigkeit, zu akzeptieren, daß es möglich ist, eine Familie zu planen. Kinder sind ein Geschenk Gottes und die Geburt eines Kindes zu verhindern, hieße, gegen Gottes Willen zu verstoßen. Untersuchungen des "Population Family Board" von April bis Dezember 1983 haben gezeigt, daß Ägypter generell große Familien bevorzugen. Je höher aber der sozio-ökonomische Status einer Familie ist, um so kleiner ist die Anzahl der Mitglieder. Dies bedeutet, daß je schwächer wirtschaftlich gesehen die Situation einer Familie ist, um so mehr Kinder vorhanden sind. Eltern kennen die Vor- und Nachteile von kleinen und großen Familien aus Radio und Fernsehprogrammen, und trotzdem bestehen sie auf folgenden Begründungen:
Langsam setzen sich aber auch andere Meinungen durch. Besonders Familien in städtischen Gebieten mit niedrigem Einkommen bieten eine gute Zielgruppe für die Familienplanung. Motive, die Anzahl der Kinder zu begrenzen, sind folgende:
Wo müßte man also in Zukunft ansetzen: Vorrangige Aufgabe wäre es z.B., die enorme Furcht vor Nebenwirkungen der Verhütungsmittel abzubauen. So ist es wichtig, diesbezüglich eine gute Aufklärungsarbeit zu leisten, sowie verschiedene Alternativen anzubieten. Die Politik sollte dahingehen, den Eltern klarzumachen, daß sie Verantwortung für ihre Kinder haben und diesen eine bestmögliche Ausbildung bieten sollten. Außerdem sollte man versuchen, die Wertvorstellungen, die mit großer Kinderzahl verbunden sind, zu vermindern. Literatur:
Zum Seitenbeginn
|
Praxis der Familienplanung
Nr. 3/88, pp. 1722 Aus den Statistiken ist zu ersehen, daß das am meisten angewandte Mittel zur Empfängnisverhütung die Pille ist (Abb. 1) Sie wird von der Hälfte der Gruppe eingenommen, die überhaupt Empfängnisverhütung betreibt (1987 insgesamt etwa 35% je nach Quelle der Frauen im gebärfähigen Alter). Der größte Teil der Frauen besorgt sich die Antibabypille (sie ist in Ägypten nicht rezeptpflichtig) aus der Apotheke, viele ohne einen Arzt, eine Poliklinik in einem Krankenhaus oder ein Gesundheits- oder Familienplanungszentrum (FPZ) aufgesucht zu haben (Abb. 2).
Dazu die Erfahrungen der Apothekerin, Frau B. aus Agouza:
"Doch fast mehr als zum Pillenkauf kommen die Frauen zu mir, die ungewollt schwanger wurden und Rat suchen. Ich empfehle ihnen, ein großes Glas Cognac zu trinken, dazu ein paar Torschi (eine Art Mixed Pickles Anm. KFN) zu essen und am nächsten Morgen 60 ml Rizinusöl zu trinken. Oder ich gebe ihnen 7 Tabletten Anovlar, die sie auf einmal nehmen sollen, so als 'Pille danach'. Doch meistens hilft es nichts, und die Frauen verkaufen dann oft einen Teil ihres einzigen Besitzes, einen der goldenen Armreife von ihrem Arm, um die Abtreibung für LE 50 (bis zu LE 200) bezahlen zu können. Die Frauen wissen einfach über ihren Körper nicht Bescheid."
"In der letzten Zeit kommen aber auch immer mehr Männer in die Apotheke, besonders am Nachmittag, wenn ich einen Apotheker hier habe. Ich habe das Gefühl, sie machen sich auch mehr Gedanken über ihre miserable ökonomische Situation als ihre Frauen. Sie kommen und kaufen Kondome, ich muß seit einigen Monaten viel mehr bestellen, als früher. Die Männer erzählen, daß sie die Reklame von 'Tops' (eine Kondommarke) in den Bussen gesehen haben." Ein paar Beispiele betroffener Frauen: Hosna 30 Jahre alt, ich treffe sie im Boulaq-Sozialzentrum klagt über Schwindel. Hosna ist im 5. Monat schwanger, eine knapp 2-jährige Tochter hat sie an der Hand. Ihr erstes Kind, eine Tochter, bekam sie mit 18, danach kamen zwei weitere Töchter, dann endlich der Sohn. Es folgten zwei Abtreibungen, eine in Assuan, wo ihre Familie auch herkommt sie will nicht näher beschreiben, wie die Abtreibung durchgeführt wurde die zweite dann in einem Krankenhaus in Kairo. Die nächste Schwangerschaft trug sie auf Drängen der Familie aus, dies ist ihre jetzt 2-jährige Tochter. Die anschließend eingesetzte Spirale verlor sie eines Tages und jetzt ist sie wieder schwanger. Von der Pille habe ihr der Arzt abgeraten. Für eine Abtreibung der jetzigen Schwangerschaft sei es zu spät gewesen, als sie zum Arzt ging, denn sie war bereits im vierten Monat. Nach Angaben einer Gynäkologin in einer staatlichen Frauenklinik ist die Abtreibung offiziell verboten, außer wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Im Islam ist sie verboten, nachdem "the spirit had been breathed into the foetus" doch wann das ist, scheint weiterhin kontrovers zu sein. Es gibt Ärzte und Rechtsgelehrte, die meinen, 40 Tage nach Empfängnis, andere sagen, vier Monate danach und wieder andere, sobald die Eizelle sich mit dem Spermium vereinigt habe. Jetzt, nach der Entbindung ihres sechsten Kindes, wird der Arzt sie sterilisieren. Ihr Mann verdient monatlich LE 80, die ganze Familie wohnt in einem Zimmer. Badria 31 Jahre, 5 Kinder, 2 Abtreibungen. Nach dem Vierten Kind ließ sie sich die Spirale einsetzen, die ihr nach einiger Zeit wegen zu starker Monatsblutungen wieder entfernt wurde. Danach war sie bald schwanger mit dem 5. Kind. Anschließend nahm sie die Pille, die sie sich selbst aus der Apotheke besorgte. Wegen Schwindel und Kopfschmerzen setzte sie vor drei Wochen die Pille ab und führte statt dessen Aspirin-Tabletten in die Scheide ein. Jetzt hat sie eine Scheidenentzündung und ist beim Arzt in Behandlung. Samira 31 Jahre, 4 Kinder, wollte eigentlich nur zwei doch erst das dritte Kind war der ersehnte Sohn. Danach bekam sie die Spirale, die ihr wegen zu starker Blutungen entfernt werden mußte. Daraufhin nahm sie die Pille, das 4. Kind kam, weil sie eine Pille vergessen hatte. Auf die Frage, ob sie außer Spirale und Pille noch andere Verhütungsmethoden kenne, gibt sie an: "Nur die Abtreibung". Jetzt nimmt sie wieder die Pille, jammert über Müdigkeit und Kopfschmerzen und weiß nicht, was sie tun soll. Der Mann wolle zwar auch kein Kind mehr haben, aber die Verhütung sei ihre Sache. Eine englische Krankenschwester, die im Boulaq-Sozialzentrum den Frauen Gesundheitsunterricht gibt, erzählt den Anwesenden, daß es im Monatszyklus einer Frau besonders fruchtbare Tage gäbe, an denen sie nicht mit den Männern schlafen sollten. Sie erreichte nur schallendes Gelächter: "Die Männer nehmen uns, wann sie wollen, sie würden nie akzeptieren, daß es an bestimmten Tagen nicht geht." Nach seinen Erfahrungen und seinem Standpunkt zu den Familienplanungsmethoden fragte ich den Gynäkologen Prof. M. Er betreibt eine Privatpraxis und -klinik und behandelt dort vorwiegend Frauen der Mittel- und Oberschicht, die durchschnittlich nur zwei Kinder bekommen. Als Professor einer hiesigen Universitätsklinik hatte er selbst auch mehrere Jahre Familienplanungszentren mitzubetreuen. "Die beste Methode zur Empfängnisverhütung für fast alle Frauen ist nach meiner Ansicht die Spirale. Es ist für ca. 80% meiner Patientinnen die Methode der Wahl. Meist setze ich die Spirale sofort nach der Entbindung oder der Interruptio (Abtreibung) ein. Nach dem dritten Kind führe ich sehr häufig Sterilisationen durch. Die Pille mag ich nicht, es gibt zu viele Nebenwirkungen und die Fehlquote ist sehr hoch." Ich frage ihn nach seiner Meinung zu der von USAID in Zukunft stark propagierten implantierbaren (unter die Haut einzunähenden) Langzeitpille. "Das Implantat führt aufgrund seiner Zusammensetzung sehr häufig zu Zwischenblutungen. Für eine Frau islamischen Glaubens bedeutet das, sie darf in der Zeit nicht beten, weil sie unrein ist, und deshalb glaube ich auch nicht, daß diese Methode auf lange Sicht bei unseren Frauen erfolgreich sein wird. Auf dem Land kommt Familienplanung sowieso nicht an. Die Leute werden ihre Kinderzahl nicht einschränken wollen, solange ihnen nicht offen gesagt wird, daß ihre Kinder sterben werden, verhungern werden, weil es für so viele Menschen bald nicht mehr genug zu essen geben wird. Ab dem vierten Kind müßten subventionierte Lebensmittel etc. gestrichen werden." Frau Dr. D., Gynäkologin in einer staatlichen Frauenklinik in Boulaq, hat zumindest in diesem innerstädtischen Bezirk bei ihren Patientinnen das Gefühl, daß der Geburtenzuwachs geringer wird. Die durchschnittliche Kinderzahl der Frauen, die in das Krankenhaus und dessen Poliklinik mit Familienberatungsstelle kommen, liegt bei vier. Empfängnisverhütung beginnen die Frauen hier meist mit 30 bis 35 Jahren. Ca. 50% bekommen die Spirale, 40% die Pille, ein kleiner Prozentsatz ein Diaphragma, mit dem die Frauen gut zurecht kämen. In ca. 5% muß die Spirale wegen Nebenwirkungen wieder entfernt werden, wegen starker Blutungen, Bauchkrämpfen oder Infektionen. Sehr viele Frauen stillten lange, um eine neue Schwangerschaft zu verhindern, aber das sei natürlich kein sicherer Schutz. Zur Nachuntersuchung nach dem Einsetzen der Spirale (sie kann 57 Jahre belassen werden) oder nach Verordnung der Pillen kämen die Frauen nur, wenn sie Probleme hätten. Abtreibung sei illegal und Sterilisation sei vom Gesundheitsminister erst nach dem vierzigsten Lebensjahr erlaubt. "Hier in der Stadt macht sich Familienplanung schon bemerkbar, aber auf dem Land sind die Kampagnen nicht effektiv genug. Es gibt vor allem auch nicht genügend und auch nicht ausreichend ausgestattete und besetzte Familienplanungszentren."
Um zu sehen, wie eines der staatlichen FPZs arbeitet, fuhr ich an einem Nachmittag gegen halb zwei mit einer befreundeten ägyptischen Ärztin zu einen FPZ in Zeinhum (Stadtteil von Kairo). Bis auf die Oberschwester, die auch gerade gehen wollte, war das Haus verlassen. Sie gab uns jedoch bereitwillig Auskunft. Zeinhum hat ca. 180.000 Einwohner, für die drei FPZs zuständig sind. Das von uns aufgesuchte ist eingegliedert in ein Gesundheitszentrum, das außerdem noch Mutter-Kind-Fürsorge mit Schwangeren- und Säuglingsbetreuung anbietet. Für das gesamte Zentrum stehen 6 Ärzte, 5 Schwestern und eine Sozialarbeiterin zur Verfügung. Ich bekomme die Zahlen, die den Bereich Familienplanung betreffen, zur Einsicht. Im Jahr 1987 kamen 937 Frauen zur Familienplanungsberatung (830 zur Schwangerenbetreuung), einen Monat war das Zentrum wegen Renovierung geschlossen, d.h. monatlich kamen durchschnittlich 85 Frauen, die meisten mehr als 35 Jahre alt. Die empfohlenen Verhütungsmethoden entsprachen in der prozentualen Verteilung der in Abb. 1. Mir erschien die Anzahl der Frauen, die das Familienplanungszentrum beanspruchten, für den Einzugsbereich sehr gering, und ich fragte die mich begleitende ägyptische Ärztin, die früher selbst in diesem Zentrum gearbeitet hatte, nach ihrer Meinung: "Viele Frauen wissen über die möglichen Methoden durch das Fernsehen Bescheid. Die Pillen besorgen sie sich dann einfach aus der Apotheke, und wenn sie sich für eine Spirale entscheiden, gehen sie lieber in eine Krankenhaus, weil dort Fachärzte sind, während die Ärzte in den FPZs gerade erst von der Universität kommen." Laut Laila Stilo, die hauptverantwortlich für den Bereich Familienplanung bei USAID ist, stieg die Anzahl der Frauen, die Kontrazeptiva benutzen, von 30% im Jahre 1984 auf 35% im Jahre 1987. "Zum Anstieg der Bevölkerungszahl führt letztendlich auch der lange geforderte Rückgang der Säuglings- und Kindersterblichkeit (Säuglingssterblichkeit 1979 noch 10,9%, 1986 nur noch 8,5%). Dazu beigetragen hat vor allem das staatliche Rehydrierungsprogramm, weshalb weniger Kinder an Durchfallerkrankungen sterben müssen. Um so wichtiger ist natürlich, daß die Familienplanungsstrategien auch zum Erfolg führen. Die Grundvoraussetzung für ein Gelingen der Familienplanung ist die Schulausbildung der Frauen." Nun noch ein paar persönliche und kritische Bemerkungen zu den verschiedenen erwähnten Verhütungsmitteln und Methoden:
Die Probleme mit den Empfängnisverhütungsmitteln sind für Frauen weltweit ähnlich: Die Pille wollen viele aus den verschiedensten Gründen nicht nehmen. Die Spirale vertragen nicht alle, Sterilisation nach der gewünschten Kinderzahl vielleicht, wenn sie psychisch verkraftet wird, aber weiß man das immer vorher? Was bleibt? Es gibt Knaus-Ogino (unzuverlässig) und die Temperaturmeßmethode und die Cervixschleimhautmethode nach Billings. Sie alle verlangen Zuverlässigkeit und Selbstdisziplin und nichts geht, ohne daß die Männer auch mitspielen. Der Ausbildungsstand der Frauen ist einer der Hauptfaktoren für die Anzahl der Kinder, die sie haben wird. Ist sie besser ausgebildet, wird sie später heiraten, die Fruchtbarkeitsspanne verringert sich, sie wird ihren Körper verstehen lernen, die Zeitspanne zwischen den Kindern erhöhen und bewußt zusammen mit ihrem Mann Familienplanung betreiben. Doch drei Fünftel der Frauen in Ägypten sind Analphabetinnen, auf dem Land doppelt so viele wie in der Stadt. Noch ein langer Weg! Quelle:
Zum Seitenbeginn
Familienplanung und Islam
Nr. 3/88, pp. 2526
Die Themen Familienplanung und Geburtenkontrolle sind keine neuen Phänomene. Bereits in der Frühzeit des Islams wurde die diesbezügliche Problematik diskutiert und wie jede andere Frage von Koran und Sunna abgeleitet. Anders als in der Bibel (Geschichte von Onan in Genesis 38) gibt es im Koran keine direkten Hinweise auf Geburtenkontrolle. Es finden sich jedoch Referenzen, die bei Diskussionen über Familienplanung eine Rolle spielen, so Sure 22, Vers 5 und Sure 23/1213, wo von der Entstehung des Menschen im Mutterleib die Rede ist. In Sure 42/4950 wird auf die Allmacht Gottes hingewiesen, der nach seinem Willen Menschen zur Welt kommen läßt, und der die Macht hat, fruchtbar und unfruchtbar zu machen. Die Gottgefälligkeit des Heiratens kommt in mehreren Versen zum Ausdruck; in Sure 13/38 findet sich der Hinweis, daß auch die Propheten und Gottesgesandten geheiratet und gezeugt haben. Deutlicheren Aussagen begegnen wir in der Sunna des Propheten Muhammad. Es werden zahlreiche Traditionen (Ahadit) als kanonisch angesehen, in denen der Prophet einerseits den Vorzug von Heirat und Zeugung hervorhebt, andererseits aber die zu seiner Zeit üblichen empfängnisverhütenden Methoden nicht ablehnt. Darauf berufen sich später muslimische Theologen, die kontrazeptive Methoden für "makruh" (tadelnswert), nicht jedoch für "haram" (verboten) hielten. Nach dem wohl einflußreichsten muslimischen Theologen, Abu Hamid Al-Gazzali (10581111), war die Empfängnisverhütung erlaubt, denn Verbote könne es im Islam nur geben, wenn ein "nass", ein Originaltext in Koran und Sunna, das Verbot ausdrücklich formuliert. Kontrazeption sei also, wie er in einem Kapitel des monumentalen Werkes "Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften" schreibt, "mubah" (erlaubt). Unerlaubt sei allerdings die Abtreibung, die mit Kindestötung gleichgesetzt wird. Als Beweggründe für die Familienplanung führt Al-Gazzali an: ökonomische Gründe, z.B. die Furcht, vor übergroßem Kindersegen in Armut zu fallen, physische Gründe: die Angst um die Gesundheit der Frau. Sogar ästhetische Gründe läßt er gelten, z.B. die Sorge um die Schönheit der Frau. Mehr oder weniger alle späteren Juristen und Theologen folgen den Ausführungen Al-Gazzalils. Demgegenüber nahm der vor Al-Gazzali wirkende Dichter und Religionsphilosoph Ibn Hazm (9941064) eine betont konservative Haltung ein. Er geht davon aus, daß es in Koran und Sunna keine positive Regelung der Kontrazeption gäbe. Empfängnisverhütung in allen ihren Formen sei deshalb nicht zulässig und müßte vielmehr dem alleinigen Willen Gottes vorbehalten bleiben. Selbst die späteren ebenfalls konservativen Reformtheologen Ibn Taymiya (12631328) und Ibn Qayyim (12911351) lehnen diese Lehrmeinung ab. Ibn Qayyim argumentiert in seiner Schrift über Geburt und Kindererziehung, daß die Gefährten des Propheten Geburtenkontrolle praktiziert hätten, was ihnen nicht untersagt worden sei. Kontrazeptive Methoden könnten darum auch in späterer Zeit nicht verboten sein. Ein Streitpunkt blieb allerdings die Abtreibung: Aus einem Hadit des Propheten geht hervor, daß der Embryo im Mutterleib erst nach Ablauf von 120 Tagen als beseelt zu betrachten sei, und zwar nach einem Entwicklungsprozeß, der sich in drei Stufen von je 40 Tagen vollzieht. Während Al-Gazzali offensichtlich die Abtreibung zu jedem Zeitpunkt als unerlaubt betrachtet, ist der Abortus nach Ibn Qayyim erst ab dem vierten Monat als krimineller Akt aufzufassen, denn der Engel werde erst nach drei Monaten geschickt, um dem Kind den Geist einzuhauchen. Nicht nur Juristen und Theologen, sondern auch Wissenschaftler, Philosophen und Mediziner haben sich mit dem Thema Geburtenkontrolle und Empfängnisverhütung beschäftigt: Ibn Sina = Avicenna (9801037) fügte seinem medizinischen Canon (alqanun fi-t-tibb) eine Liste von Medikamenten bei, denen kontrazeptive und abortusfördernde Wirkung zugeschrieben wird. Avicenna's Werk war bald in ganz Europa verbreitet, wo das Kapitel über Empfängnisverhütung mit dem Euphemismus "Gifte zur Verursachung von Sterilität" umschrieben wurde und deshalb bald in die Hände der Zensur geriet. Ar-Razi = Rhases (11491209) beschrieb in seinem Liber Continens (al-hawi fi-t-tibb) nicht weniger als 176 kontrazeptive und abortusverursachende Methoden, die bis in die Neuzeit eifrig kommentiert wurden. Hibatallah Ibn Ğumai (gest. 1198), ein ägyptischer Jude und Hofarzt des Ayyubidenherrschers Saladin, untersuchte in seinem "Buch der Anleitung für die Entwicklung von Seele und Körper" gleichfalls mehrere empfängnisverhütende Methoden. Sein Nachfolger am Ayyubidenhof in Kairo, der berühmte jüdische Gelehrte Musa Ibn Maymun = Moses Maimonides (11351204) vertritt weitgehend konservative Ansichten. In einem speziellen Traktat läßt er nur wenige Ausnahmen aus dem grundsätzlichen Verbot der Kontrazeption gelten, was vor allem die nachfolgende jüdische Tradition stark beeinflußte. Bekanntlich wurde Maimonides darüber hinaus als historisches Vorbild für Lessings Aufklärungsdrama "Nathan der Weise" betrachtet. Auf Ibn Al-Baytar (11971248), den Chefbotaniker des Ayyubidensultans Al-Malik Al-Kamil geht eine Enzyklopädie zurück, in der rund 1.400 Drogen, unter Einschluß von Verhütungsmitteln, in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet werden. Als letzter der klassischen Autoren, die kontrazeptive Mittel beschrieben haben, ist der ägyptische Mystiker und Gelehrte Abd Al-Wahab Aš-Ša'rani (gest. 1565) zu nennen. In einer weitverbreiteten medizinischen Abhandlung kommentiert er rund 30 Rezepte der arabischen Überlieferung und der ägyptischen Volksweisheit. Auch magische Verhütungsmittel, wie z.B. Amulette werden dabei diskutiert.
Zum Seitenbeginn
Islam und Familienplanung heute
Nr. 3/88, pp. 2728
In der modernen Diskussion um den Stellenwert der Familienplanung wird oft ein Ausspruch von Al-Ğahiz (gest. 868) aus dem "Buch der Tiere" wiederholt, wonach der Unterschied zwischen Mensch und Tier darin besteht, daß der Mensch seine Nachkommenschaft bestimmen und regeln könne. Wie argumentieren aber muslimische Gelehrte im heutigen Ägypten, wo Geburtenkontrolle keine wissenschaftliche Spielerei mehr ist, sondern eine politische Frage von höchster Brisanz? An staatlichen Kampagnen und Aufklärungsfeldzügen nehmen immer auch Vertreter der religiösen Institutionen des Landes teil, da offensichtlich nicht überall bekannt ist, welche Ansichten der Islam zu Fragen der Empfängnisverhütung und Geburtenkontrolle vertritt. Der nachfolgende Überblick soll die wesentlichsten Lehrmeinungen zu dieser Problematik an Hand von einigen Beispielen aufzeigen, die einschlägigen Zeitschriften (al-Liwa' al-islami, al-Hawa', at-Tasawwuf al-islami, Mağallat al-Azhar, Minbar al-Islam u.a.) und anderen Publikationen entnommen sind. Der populäre Scheich Mutawalli Ash-Shaarawi hält in seinen zahlreichen Fatwas die Familienplanung für gerechtfertigt, allerdings unter gewissen Bedingungen. Wenn Geburtenkontrolle aus Angst vor mangelndem Lebensunterhalt angewendet wird, dann sei dies "haram" (verboten), denn nur Gott gewährt den Lebensunterhalt. Erfolgen diesbezügliche Maßnahmen aber aus Rücksicht auf Gesellschaft, Familie oder aus Erziehungsgründen, dann gibt es keine religiösen Einwände. Eine allfällige Geburtenbeschränkung (tahdid an-nasl) sei vor dem Ernstfall zu überlegen, nachher ist es zu spät, denn eine gottgewollte Schwangerschaft dürfe nicht unterbrochen werden, außer aus gerechtfertigten medizinischen Gründen. Die Ehepartner können sich darauf einigen, den Zeitpunkt einer Schwangerschaft selbst zu bestimmen. Nach Dr. Abderrahman An-Nağğar, dem kürzlich verstorbenen stellvertretenden Minister für islamische Stiftungen, ist zwischen Familienplanung (tanzim al-usra) und Geburtenbeschränkung (tahdid an-nasl) zu unterscheiden. Familienplanung ist zu definieren als Bestimmung der Abfolge von Schwangerschaften durch erlaubte Methoden und mit dem gegenseitigem Einverständnis der Ehepartner. Das sei nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Planung und Ordnung muß es in allen Lebensbereichen geben, dies ist ein göttliches Prinzip. Die legalen Mittel zur Familienplanung hat der Arzt zur Verfügung zu stellen. Sterilisation und Abtreibung zählen jedoch nicht dazu. Dagegen heißt Geburtenbeschränkung, daß keine Geburten stattfinden sollen, da man sich von vornherein auf eine bestimmte Kinderzahl festlegt. Das liege jedoch nicht in der Macht des Menschen, denn Gott kann selbst aus einem Stein ein Kind wachsen lassen. Die Bevölkerungsexplosion in Ägypten erfordere Disziplin. Die Frau ist keine Kinderfabrik, sie hat das Recht auf physische und psychische Erholung. Der Frau obliegt die hauptsächliche Erziehungsaufgabe. Durch ständige neue Geburten könne eine Frau diese Erziehungsfunktion für die übrigen Kinder nicht mehr in wirksamer Weise erfüllen. Das könne dazu führen, daß Kinder moralisch verkommen, was eine Belastung für Familie und Gesellschaft darstellen würde. Die Legalität von Verhütungsmitteln erkläre sich aus der Tatsache, daß zur Zeit des Propheten Familienplanung entsprechend den damaligen Umständen praktiziert wurde. Für die heutige Zeit haben demzufolge zeitgemäße Methoden zu gelten.
Der Scheich der Azhar, Ğadd Al-Haqq Ali Ğadd Al-Haqq äußerte sich bereits während seiner Amtsperiode als Mufti Ägyptens verschiedentlich über Familienplanung. Immer wieder betonte er, daß der Islam nicht gegen die Familienplanung eingestellt sei, allerdings müsse der Wert des Lebens gesichert bleiben. Die beste Methode der Familienplanung sei die natürliche Empfängnisregelung. So liegt in der vom Koran vorgesehenen 2-jährigen Stillzeit für Säuglinge bereits ein natürliches Mittel zum Aufschub einer neuen Schwangerschaft. Sterilisation und Abtreibung jedoch seien Verbrechen an Gesellschaft und Familie, falls sie nicht medizinisch indiziert sind. Der Islam sei die Religion des Lebens, nicht des Todes. Im Allgemeinen solle sich der Mensch dem Willen des Allmächtigen fügen. Dabei wird an den Hadit des Propheten erinnert: "Heiratet und zeuget. Und ich werde stolz sein auf euch unter den Völkern am Tage des Gerichts." In einer auch auf englisch erhältlichen Broschüre des "State Information Service" nimmt der ehemalige Minister für Azhar-Angelegenheiten, Scheich Abdelaziz Muhammad Issa, zur Familienplanung im islamischen Recht Stellung. Seiner Meinung nach ist Familienplanung unter den heutigen Gegebenheiten in Ägypten obligatorisch. Die Ehepartner haben das Recht, kontrazeptive Mittel anzuwenden, genau wie sie das Recht besitzen, sich Kinder zu wünschen. Auch permanente schwangerschaftsverhütende Mittel können von den Rechtsgelehrten unter bestimmten Bedingungen gutgeheißen werden. Auf der anderen Seite kann man jedoch nicht erwarten, daß der Islam die Geburtenbeschränkung und -limitierung für die Allgemeinheit sanktioniert. Diese Welt sei schließlich eine progressive Welt, jede Limitierung wäre gegen das Naturgesetz von der Entwicklung und vom Fortschritt des Universums, das aufgrund der göttlichen Weisheit und Planung besteht.
Zum Seitenbeginn
Flexibel und Pragmatisch
Nr. 3/88, pp. 2931 Der Besucher ist zunächst verblüfft: die jungen, unverheirateten CEOSS-Dorfhelferinnen Nadia und Safeya haben uns in das Gemeindehaus geführt; ihre männlichen Kollegen, die in diesem Haus ihre bescheidenen Unterkünfte haben, begrüßen uns freundlich und erzählen von den hier stattfindenden Aktivitäten. Im ersten Raum werden Erste-Hilfe-Fälle behandelt, Rezepte ausgestellt, und einmal in der Woche kommt eine Gynäkologin für Untersuchungen und Familienberatung. Und bei diesem Stichwort schiebt Nadia den Vorhang zum Untersuchungszimmer beiseite und gibt den Blick frei auf eine riesige Schautafel: "Familienplanung" steht in großen Buchstaben über einer bunten Collage aus aufgeklebten Kondomen, Pillenpackungen, Spiralen und Pessaren! Ohne meine Verblüffung wahrzunehmen, erklären die jungen Leute die Arbeit des CEOSS-Familienplanungsprojektes. CEOSS, das steht für "Coptic Evangelical Organization for Social Services"; kirchliche Arbeit und Geburtenkontrolle, gibt es da keine Widersprüche und Konflikte? "Aber nein", sagt Ibrahim vom CEOSS-Zentrum in Minia, der uns in dieses kleine Dorf im Gouvernorat Assiut begleitet hat, "Familienberatung ist ein wesentlicher Teil unseres Dorfentwicklungsprogrammes, und dazu gehört als wichtiger Aspekt die Geburtenkontrolle bzw. Familienplanung." Diese koptische Organisation leistet v.a. in Mittelägypten seit Jahren erstaunlich erfolgreiche Entwicklungsarbeit, die sich als Hilfe zur Selbsthilfe versteht. Kernpunkt ist das sog. Dorfentwicklungsprogramm, das Alphabetisierungskurse, Hygiene- und Entwicklungsprogramme, Sauberkeitskampagnen, Trainingskurse, Kredite für einkommensschaffende Maßnahmen, Bau von Wasser- und Abwasserleitungen und viele andere Aktivitäten umfaßt. Integrierter Bestandteil dieses Gesamt-Programmes ist eine weitgefaßte Familienplanung. "Wir arbeiten in diesem Dorf seit einem Jahr und begannen mit der Beratung kinderloser Familien", berichtet uns Safeya, "wir diskutierten über den Begriff 'glückliche Familie' und welche Verantwortung Eltern gegenüber ihren Kindern haben. Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt zu erklären, daß es notwendig ist, die Kinderzahl begrenzt zu halten." Wir besuchen Familien, die an diesem Programm teilnehmen und aktiv bei den anderen Dorfbewohnern dafür werben: "Ohne CEOSS hätte ich sicher 16 Kinder", lächelt der Dorfschneider etwas verschämt. Wie viele Kinder er denn habe? "Acht, und damit ist es genug, wir haben uns dem Programm angeschlossen, il hamdulillah!" Alle beteiligungswilligen Frauen wobei die Einwilligung des Partners Voraussetzung ist werden von der Ärztin untersucht, und mit Hilfe eines Fragenkataloges wird die ideale Form der Verhütung gewählt. Die CEOSS-Mitarbeiterinnen legen eine Kartei an und beraten und erinnern die Frauen regelmäßig. In einem anderen Dorf, nördlich von Minia, in dem das Dorfentwicklungsprogramm bereits seit drei Jahren läuft, ist eine Dorfbewohnerin als freiwillige Mitarbeiterin zur Verantwortlichen des Familienprogrammes ernannt worden. (Die CEOSS-Philosophie geht davon aus, daß nach 35jähriger "Partnerschaftsphase" die Dorfgemeinschaft weitgehend selbständig das Dorfentwicklungsprogramm mit allen Aktivitäten weiterfahren kann.) Ihre Kinder sind fast erwachsen, und sie hatte sich nach dem 3. Kind zur Geburtenkontrolle entschlossen und stellt damit eine Wunschpartnerin für das CEOSS-Programm dar. Sie besucht die Familien, berät, klärt auf und hält regelmäßig Treffen ab, an denen sich alle, Christen wie Moslems, beteiligen können, um strittige Fragen zu diskutieren. Bereitwillig erzählt sie uns von ihrer Arbeit und den damit verbundenen Schwierigkeiten und erklärt uns ihre eigene Einstellung zur Familienplanung. Nur unsere Frage, ob auch unverheiratete Mädchen zur Beratung kämen, bringt sie etwas aus dem Konzept. Daß diese flexible und unkomplizierte Einstellung zur Geburtenregelung nicht auf CEOSS oder die evangelischen Kopten beschränkt ist, zeigt ein Besuch bei orthodoxen Kopten in Alexandria. Hier hat eine Kirchengemeinde eine Sozialorganisation gegründet, die "Holy Mary Queen of Light Organization", die für sozial Benachteiligte Alphabetisierungskurse durchfuhrt, Werkstätten betreibt, in denen auch ausgebildet wird, Klassen für Blinde und Taube eingerichtet hat. Ein neues Projekt ist die Errichtung eines dörflichen Zentrums in Zawayda, einige Kilometer östlich von Alexandria gelegen. Hier haben sich in den letzten Jahren entlang und zwischen den Bewässerungskanälen vor allem Familien aus Mittel- und Unterägypten in etwa 12 Dörfern niedergelassen, viele sind Kopten. Diese ursprünglich wilden Siedlungen vornehm "informal settlements" genannt haben kaum Infrastruktur. Für ärztliche Betreuung müssen die 15.000 Einwohner der Gegend um Zawayda nach Alexandria fahren. Mit Father Johannes, dem engagierten Motor dieser Organisation, besuchen wir das Gebäude, das für dieses Dorfzentrum gerade umgebaut wird. Es wird Räume für einen Kindergarten, für Alphabetisierungskurse und andere Aktivitäten enthalten und vor allem für eine Poliklinik, die Kopten und Moslems offenstehen wird. Father Johannes erklärt, auf welchen Gebieten medizinische Behandlung und Beratung angeboten werden und nennt ganz selbst verständlich auch Familienberatung. "Aber natürlich gehört Geburtenkontrolle in unser Programm, gerade diese einkommensschwachen, aber kinderreichen Schichten bedürfen auf diesem Gebiet dringend der Hilfe und Beratung. Das Bevölkerungswachstum ist derzeit Ägyptens größtes Problem, und wir fühlen uns aufgerufen, hier aufklärend mitzuwirken." Eine pure Notwendigkeit, denken die Besucher, angesichts der drangvollen Enge, in der die Bewohner solcher Neusiedlungen, aber auch der Nildörfer, leben und bewundern die offene und pragmatische Haltung der koptischen Kirche. Doch der Weg zu sichtbarem Erfolg sei schwer und mühsam, fügt Father Johannes hinzu. Und wir erinnern uns eines jungen, sehr aktiven moslemischen Dorfführers in einem Sanierungsgebiet in Oberägypten, in dem die Zahl kleiner Kinder nicht mehr überschaubar war. "Familienplanung ist eine böse amerikanische Erfindung, die der Koran verbietet", hatte er gesagt. "Wir haben genügend Platz für all die Babys, die noch kommen werden." Was im Rahmen von koptischen Sozialprogrammen praktiziert wird, findet seine Grundlage und seinen Rückhalt auch in den theoretischen Verlautbarungen der koptischen Kirche: Der Abt des Markarius-Klosters hat bereits 1967 eine Schrift herausgegeben, die in der kürzlich erschienenen deutschen Übersetzung den Titel "Ein Standpunkt zur Geburtenkontrolle" trägt. Mit Berufung auf das Evangelium wird ausgeführt, daß bewußte Begrenzung der Kinderzahl im Einklang mit der göttlichen Ordnung stehe. Rücksicht auf die Gesundheit von Mutter und Kind und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie verlangten nachgerade eine Reduktion der Geburtenrate. "Daher muß die Fortpflanzung mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Mannes und der Frau, mit der Zeit und dem Aufwand, wie sie alles finanzieren, proportional laufen." Enthaltsamkeit als Mittel der Geburtenregelung wird mit Berufung auf ein Pauluswort (1.Kor. 7: 35) innerhalb einer ehelichen Gemeinschaft ausdrücklich abgelehnt. So, wie bei der Bekämpfung von Sterilität der Einsatz medizinischer Mittel erlaubt und geboten sei, so wäre bei der Geburtenkontrolle der Einsatz aller verfügbaren Empfängnisverhütungsmittel angebracht: "Mit anderen Worten, die Kirche kann die Verhütungsmittel nicht verbieten und den Leuten befehlen, sich ohne Grenzen fortzupflanzen, wenn es ihnen an den notwendigen Mitteln fehlt, die Kinder aufzuziehen."
Zum Seitenbeginn
TV-Spots über Familienplanung demnächst auf Kanal 1
Nr. 3/88, pp. 3234 "Ana zanana" "ich bin sehr geschwätzig", wird Ihnen die stadt- und landbekannte Komikerin Sanaa Younis ab Mitte März augenzwinkernd auf dem Bildschirm gestehen. Das Eingeständnis ihrer Schwäche ist aber nicht unbedingt an Sie adressiert, verehrter PAPYRUS-Leser, denn Sie können lesen und schreiben, haben eine gute Schul- und Ausbildung, sind das, was man einen aufgeklärten Menschen nennt und zumeist auch kein Ägypter. Sie sollten aber dennoch nicht abschalten! Auch wenn Sie der Landessprache nicht mächtig sind, erfahren Sie als aufmerksamer Zuschauer viel über traditionelle Verhaltensmuster im Familienleben der einfachen Bevölkerungsschicht Ägyptens und über die Problematik, hier neue Erkenntnisse und Einsichten fruchtbar anzusiedeln. Sanaa Younis ist ihrem breiten Publikum bisher wohl bekannt in der Rolle der älteren, unverheirateten Frau, die immer viel Schwung ins dramatischen Geschehen und die Leute zum Lachen bringt. In allen 15 vorliegenden Spots, in denen es um Geburtenkontrolle, Verhütungsmittel und die Gesundheit von Mutter und Kind geht, erhält sie ein neues Image; nämlich das der alles besser wissenden und mit schlechten Ratschlägen nervenden Mutter, Schwiegermutter und Dorfklatsche. Ihrer Komik bleibt sie jedoch auch trotz des ernsten Inhalts treu und verkauft so die für manch einen wohl schwer verdauliche Kost mit viel leichter Heiterkeit. In Spot Nr. 1 bemüht sie sich beispielsweise darum, ihrer Tochter, die gerade einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hat, so schnell wie möglich einen Bruder für das Neugeborene in "den Bauch" zu reden. Aber die Tochter, unterstützt von ihrem Mann, weiß es vom Doktor und aus dem Radio besser: Die Frauen müssen sich 23 Jahre Zeit lassen bis zur nächsten Schwangerschaft, um das Kind ausreichend lange (ca. 2 Jahre) stillen zu können (hier wird auch auf die gesundheitlichen Risiken durch die künstliche Ernährung des Säuglings hingewiesen) und ihre eigene Gesundheit zu schonen. Um Einsicht in die Notwendigkeit von Schwangerschaftspausen zu wecken, werden Beispiele aus der Landwirtschaft herangezogen: Auch ein fruchtbarer Boden braucht Bepflanzungspausen, um eine weitere gute Ernte hervorbringen zu können; Bäume muß man auf Abstand pflanzen, damit sie genug Platz zum Wachsen und Gedeihen haben. Am Ende eines jeden Spots wird das Ergebnis der Bildschirmdiskussionen als "Merksatz" eingeblendet und von einer Frauenstimme wiederholt. Andere Spots weisen darauf hin, daß die Antibabypille täglich eingenommen werden muß und eine vergessene Pille sofort "nachzuschlucken" sei. Eventuell auftretende Kopfschmerzen oder Schwindelgefühle würden nur zu Beginn der Einnahme auftreten und man könne sie in Kauf nehmen, da die Pille ansonsten gut verträglich und effektiv sei. Ferner sollte die Frau nicht vor dem 20. und nicht mehr nach den 35. Lebensjahr schwanger werden, denn, so der Slogan, "Eine gute Schwangerschaft im richtigen Alter". Für Frauen über 35 Jahre oder solche, die "die Pille" nicht vertragen, werden auch Vaginaltabletten für den akuten Schwangerschaftsschutz empfohlen. Das heikle Thema der Benutzung dieses Präparates wird von der beratenden Ärztin nicht nur durch die Blume, sondern gleich durch ein ganzes Blumenbeet beschrieben: "Man nimmt die Pille auch nicht in den Mund und ißt sie nicht." Die aufgeweckte Tochter wohl an die Blumenbeetverständigung gewöhnt weiß daraufhin gleich Bescheid. Es wird jedoch nicht versäumt, besonders darauf hinzuweisen, daß vor der Benutzung von Verhütungsmitteln die beiliegende Gebrauchsanleitung gelesen werden muß. In diesem Zusammenhang kommt auch wieder die liebenswürdige Eigenschaft der Ägypter zutage, über sich selbst lachen zu können. So nehmen sich die Fellachinnen dieser Dorfgemeinschaft gegenseitig auf die Schippe in ihrem vergeblichen Bemühen, den Beipackzettel aus der Pillenschachtel zu lesen. Das Ergebnis dieser Szenenfolge in Wort und Schrift "Bevor Du die Pille benutzt, mußt Du die Gebrauchsanweisung lesen!" Mit dem Gebot: "Hör zu, wenn Du stillst, mußt Du ein Verhütungsmittel benutzen", wird in einem weiteren Spot versucht, einer alten und leider weit verbreiteten Ammenmär zu Leibe zu rücken, die den Frauen weismachen will, sie könnten während der Stillzeit nicht schwanger werden. Dr. Farrag vom CDC (Center of Development and Communication), der diese Spots in Eigenproduktion und im Auftrage des State Information Service inszenierte, läßt in seinen Spots auch die Männer nicht außen vor und ist darauf besonders stolz: Ein Arzt legt den Männern ans Herz: "Kondome sind gut und problemlos!" Befragt, warum er denn gerade auf TV-Spots verfallen sei, antwortete Dr. Farrag, daß er sich nach seinem Jounalistikstudium in Ägypten, in Amerika mit Massenkommunikation und Entwicklung beschäftigte, sein PhD über Modelle für Familienplanung erarbeitete, seine Filmstudien mit dem Master of Arts abschloß und in der Neuen Welt seinen ersten Preis mit einem einminütigen Spot gewann. Das ermutigte ihn, auch in Ägypten Spots über Familienplanung und Gesundheit für Mutter und Kind zu inszenieren. So entstand sein erster TV-Spot über die Anwendung von Rehydrationsmedikamenten bei Säuglingen, die wegen mangelnder Hygiene, oft infolge künstlicher Ernährung, an Diarrhöe erkrankt waren. Der Erfolg dieser Kampagne konnte direkt am Sinken der Säuglingssterblichkeit abgelesen werden. Das schaffte Vertrauen bei der Bevölkerung in die Aufklärungskampagnen des Fernsehens. Die jetzt vorliegenden 15 Spots sind nach gründlichen Vorstudien in der Bevölkerung, besonders bei den "low income people", entstanden. Sie ergaben beispielsweise, daß das Problem der Geburtenkontrolle in Ägypten ein Frauenproblem sei und die Frauen daher lieber einer Frauenstimme als einer Männerstimme ihr Ohr leihen. Ferner wurde deutlich, daß Angstmacherei, wie im zur Zeit laufenden Spot angewandt (ein Krankenwagen mit Blaulicht entfernt sich mit einer schwangeren Frau, die zahlreiche Kinder zurückläßt), nicht zu den gewünschten Einsichten führt. Auf das gesundheitliche Risiko für die Frau durch die Benutzung der Spirale (Gebärmutterentzündungen etc.) angesprochen, antwortete Dr. Farrag, daß seine Lektionen im Fernsehen nur einen kleinen Teil einer großen Kampagne bilden, die von anderen Institutionen organisiert, auch mehrere Ärztetrainingsprogramme beinhalten, denn eine richtig eingesetzte Spirale verursache keine Probleme. Die Frage, warum nicht alternativ zur Spirale eine Sterilisation durch Tubenligatur oder Vasektomie (beim Mann) als weniger risikobehaftet empfohlen werden, beantwortete Dr. Farrag mit einem schlichten "unmöglich" und führte aus, daß zwar Tubenligaturen von Ärzten empfohlen und auch an zahlreichen Frauen in Ägypten durchgeführt wurden und werden, die Bereitschaft der Männer zur Sterilisation jedoch gleich Null sei. Eine öffentliche Empfehlung zur Sterilisation würde außerdem noch stärker die Fundamentalisten auf den Plan rufen, als es ohnehin schon bisher gegenüber Aktivitäten in der Familienplanung der Fall sei. Aus ähnlichen Gründen ist es auch unmöglich, der Bevölkerung eine drastische Beschränkung der Kinderzahl auf etwa 23 pro Familie anzuempfehlen. Es wäre eine unzumutbare Einschränkung der persönlichen Freiheit, die der Koran einem jeden zugesteht. Auch die Lockung mit größerem wirtschaftlichen Wohlstand bei geringerer Kinderzahl, die ja in den Industrieländern die Geburtenraten schrumpfen ließen, würde in Ägypten auf keinen fruchtbaren Boden fallen: Der Koran versichert, daß niemand verelenden wird. Solange also noch trotz des Arbeitsverbots für Kinder gerade Kinder in den unteren Bevölkerungsschichten eine wichtige Einnahmequelle darstellen, wird eine solche Lockung ins Leere gehen. Der zur Zeit einzige Weg, vor allem der ländlichen Bevölkerung neue Einsichten in die Notwendigkeit von Geburtenkontrolle zu erschließen, führt nach Ansicht von Dr. Farrag nur über den Appell an ihre eigene Gesunderhaltung und die ihrer Kinder. Die Spots werden ab Mitte März im 1. Kanal täglich zweimal über den Bildschirm flimmern, und zwar jeweils vor der Serie und dem Abendfilm innerhalb des Werbeprogramms. Ein und derselbe Spot wird dabei mehrfach wiederholt werden, damit die jeweilige Information genügend Zeit hat, sich in den Köpfen der Zuschauer festzusetzen. Sollten die Lektionen "ankommen" was ständig durch Bevölkerungsumfragen kontrolliert werden soll wird dann Sanaa Younis auch noch im Frühjahr 1990 mit ihrem "ana zanana" kokettieren?
Zum Seitenbeginn
Unerwünschte Nebenwirkungen: Die Antibabypille als Hühnerfutter
Nr. 3/88, p. 35 Nicht nur bei der Einnahme zur Empfängnisverhütung durch die Frauen kann die Pille unerwünschte Nebenwirkungen haben. In Ägypten gibt es auch solche volkswirtschaftlicher Art. In der löblichen Absicht, Mittel zur Empfängnisverhütung gerade auch Familien mit kleinen Einkommen zugänglich zu machen, werden die Erzeugnisse subventioniert. Die Preise liegen weit unter den Kosten der ägyptischen Herstellung. Dies hat zusammen mit der freien Verfügbarkeit zu einem Exportboom für die Pille geführt. Sie wird nicht nur zum privaten Gebrauch in andere Staaten der Region gebracht, wo sie schwerer erhältlich ist, sondern zum Weitervertrieb in andere Länder, etwa auch Schwarzafrikas, aufgekauft. Die Mengen solcher illegaler Exporte sind dem Vernehmen nach so groß, daß sie nicht allein durch den Erwerb bei Apotheken angesammelt worden sein können, sondern auch bei Vertrieb und Herstellung abgezweigt sein müssen. Es ist verständlich, daß die offiziellen Stellen solche unbeabsichtigte Unterstützung anderer Länder mit Mißmut, beobachten und diese Ausfuhr zu stoppen suchen mit Administration natürlich. Übrigens gibt es ähnliche Exporte auch bei anderen subventionierten Arzneimitteln der ägyptischen pharmazeutischen Produktion. Ein Beispiel dafür, daß die Ausschaltung von Marktpreisen zwangsläufig Bürokratie gebiert, weil nun Kontrollen nötig sind.
Zum Seitenbeginn
|